Wozu diese seite?
Das leben ist ganz schön traurig. Finden Sie nicht auch? Der druck, sich als nützlich zu erweisen, leistung zu erbringen, die ansprüche anderer zu erfüllen, nimmt zu und zu. Wo bleibt da die eigene würde? Homo homini lupus.
Da gäbe es ein gegenmittel: Latein. Wenn die zweifel an menschheit und weltenlauf überhand nehmen, dann tut es durchaus gut, sich einmal wieder dieser toten sprache zuzuwenden, die ich in der schule bis zum XXL-Latinum (sexta bis oberprima) mit freuden betrieben habe und von der ich seitdem nicht mehr lassen kann. So angenehm unnütz ist sie doch. Wer spricht sie noch? Höchstens einige exoten. Latein als kryptisches terrain, dessen wege außenstehenden verschlossen bleiben. Latein als protestmedium. Keine schlechte idee. Insbesondere keine schlechte idee für junge menschen in der pubertät. Oder ältere, die aus ihr noch nicht heraus sind.
„Sinnvoll” kann das erlernen dieser sprache (und deren anwendung) schon deshalb nicht sein, weil sie sich kaum zu geld machen lässt. Welche firma braucht schon einen dolmetscher für lateinische kunden? Und welcher verlag braucht einen übersetzer, um seinen neuesten erfolgstitel auf latein herausgeben zu können? Oder ob eine stadtverwaltung für Ihre neubürger eine informationsbroschüre auf latein drucken lassen will? Wohl kaum.
Zum glück gibt es wenigstens noch dieses etwas, dessen sich das nützlichkeitsdiktat noch nicht hat bemächtigen können.
Einen besonderen reiz übte darum auf mich das angebot aus, an einer schule einen lateinkurs zu leiten. Nach sokratischer manier junge menschen auf schlechte gedanken zu bringen, nämlich im abfallhaufen der sprachgeschichte zu wühlen. Darum, liebe schüler und schülerinnen, wählt latein, wo immer Ihr könnt, sofern Euch die vorstellung reizt, das experimentieren mit einer alten sprache und das aufspüren ihrer spuren im heute könnten Euch spaß machen! (Selbstverständlich sei auch erwachsenen zeitgenossen diese genugtuung nicht verwehrt.)
Ganz hartgesottenen wäre das altgriechische zu empfehlen, da hätten sie neben der freude an einer toten sprache auch noch die an einem fremden (aber leider noch nicht abgestorbenen) alfabet.
Übrigens: Tot ist latein nicht etwa, weil diese sprache nicht funktionieren würde. Immerhin wurde sie jahrhundertelang gesprochen. Und das nicht in einem abgelegenen winkel dieser erde, sondern im riesigen Imperium Romanum, dessen geltungsdrang dem heutiger „imperialer mächte” in nichts nachsteht. Weltliteratur wurde auf latein geschrieben. Einige jahrhunderte später wurde das latein wieder „ausgegraben” und diente noch bis ins 19. jahrhundert als internationale sprache der wissenschaft, bis französisch und englisch diese rolle übernahmen und das latein verdrängten. Glauben Sie nicht? Dann schauen Sie sich den bericht eines chilenischen naturwissenschaftlers über seine forschungsreise durch die Atacama-wüste aus dem jahre 1860 an (menü oben:
Vivat lingua latina)! Warum das latein sich letzten endes nur im Vatikan halten konnte, wüsste ich selber gerne. Und selbst dort wird inzwischen beklagt, immer weniger nachwuchs-kleriker seien der lingua latina mächtig.
In loser folge sollen auf dieser internetseite fundstücke aus reisen in die welt der sprache präsentiert werden. Eigene experimente zugänglich gemacht, austausch ermöglicht werden. Hier wird nicht der anspruch erhoben, irgendetwas vollständig zu erfassen. Trösten wir uns, indem wir all das unfertige dieser seite als ihr potential betrachten (um im bilde des halbvollen glases zu bleiben), als die zukunft, die noch vor uns liegt. Nennen wir diese seite doch einfach eine digitale loseblatt-sammlung. Darum auch der ungewohnte titel. Vielleicht ist sie auch gar nicht nötig, können andere seiten das gleiche (besser) erreichen. Ich habe solche nur noch nicht gefunden. Auch die lateinischen internetforen vermögen mich nicht zu überzeugen. Beiträge werden dort nur aneinandergereiht, nicht thematisch sortiert.
Mögen diese seiten etwas licht in die tristesse des menschlichen daseins bringen, zum verständnis dieser sprache (und von sprache im allgemeinen) beitragen und zu eigenen experimenten (und selbständigem denken) anregen.
Es grüßt
Molitor Parvus